Lineup 2022
Antje Schomaker
Kann Loslassen etwa Spaß machen? Die Antwort darauf ist einfach wie kurz: Ja. So anstrengend die Vorstellung, immer wieder zu gehen, oder gehen zu lassen, für einen Großteil Menschen anmuten mag, so sehr findet diese Anstrengung in „Verschwendete Zeit“ ihr gut dreiminütiges Gegenstück.
Hieß es auf dem Debüt noch „Bis mich jemand findet“, oder „Wir vermissen eine Liebe einfach aus Prinzip“, finden sich Zeilen wie diese nun ersetzt durch die absolute Zusage an das Ich. Warum noch darauf warten gefunden zu werden, wenn man sich stattdessen längst selbst gefunden hat? Gut zwei Jahre nach „Von Helden und Halunken“ sitzt Antje ihrem Publikum, genauso aber sich selbst, mit einem blutverschmierten Messer in der Hand gegenüber. Die Nacht ist schwarz, die Haare sind kurz und das wortwörtlich alte Ego liegt erstochen im Bett, Audiokommentar: „Nagut, Dinge vergehen“. Schon innerhalb dieser ersten zwanzig Sekunden Musikvideo wird deutlich: künstlerische Entwicklung findet genauso sehr auf dem wie im Kopf statt, macht weder halt vor dem eigenen Kleiderschrank, noch scheut sie sich davor, in einem radikalen, musikalischen Neuanfang zu münden, der zunächst grundsätzlich geglaubtes infrage stellt.
„Verschwendete Zeit“ beschreibt eindeutig ein kräftezehrendes, schließlich erfolgreiches Beziehungsende. Aber wer hinter Zeilen wie „schneid‘ mir die Haare ab, obwohl du sie magst, zieh‘ einfach an, was ich gerne trag‘“ nur das Ende und die viel zu oft als Klischee verschriene Typveränderung sieht, macht es sich zu einfach. Schomakers gut dreiminütiger, musikalischer Reset strahlt nicht vorrangig Ende aus, sondern bedeutet viel mehr persönliches Wachsen, seine Grenzen neu zu definieren und sie laut auszusprechen. „Um loszulassen braucht es vor allem ganz viel Vorstellungskraft, denn es bedeutet auch immer, sich selbst losgelöst von Personen und Umständen vorstellen zu können und erst wenn man das kann, hat man den Mut zu gehen“. „Verschwendete Zeit“ ist also genauso Befreiungsschlag wie wahrgewordene Fantasie.
Dort wo auf dem Debüt noch viel Raum für Akustik geschaffen wurde, fordern jetzt Synthies mit jedem Akkord zum Aufspringen, Tanzen und Losrennen auf. Wenn Antje im Kontext ihres anstehenden Projekts über das Loslassen spricht, dann beschreibt sie die Zeit zwischen Debüt und dem Jetzt als das für sie persönlich größte Loslassen. Denn das Freikämpfen aus Beziehungen und Umständen, findet seine logische Fortsetzung im ständigen Hinterfragen der eigenen Denkmuster und Privilegien und wenn die aktuellen, politischen Debatten eines einfordern, dann das Erkennen und Loslösen von ewigen Gewohnheiten. Seine Denkmuster immer wieder auf den Kopf zu stellen, bedeutet für Schomaker in letzter Konsequenz also auch zu erkennen, dass man trotz all der politischen Sozialisation und dem fast schon angeborenen Bewusstsein für Umwelt, seine sicher geglaubte Aufgeklärtheit immer wieder hinterfragen muss. Da wo aus Hinterfragen neue Eingeständnisse erwachsen, trommelt Antje MusikerInnen und AktivistInnen aus ihrem Umfeld zusammen, um jüngst das „Social Sofa Festival“ zu initiieren. Wie können KünstlerInnen und Fans gleichermaßen für das Nicht-Vergessen der Zustände an den europäischen Außengrenzen sorgen, während zeitgleich eine Pandemie den Alltag aller auf den Kopf stellt? Ein digitales Zusammenkommen zwischen Konzerten und konstruktiven Gesprächen entsteht, in immer wieder neuen Auflagen des Festivals werden unter dem Motto #leavenoonebehind Spenden für die zivile Seenotrettung generiert. Ein Herzensprojekt, das seinen Platz inmitten all der musikalischen und persönlichen Weiterentwicklung gefunden hat, vielleicht sogar aus all dem resultiert ist. Denn mit „Verschwendete Zeit“ läutet die Künstlerin nicht nur einen neuen, vielversprechenden musikalischen Abschnitt ein, sondern stellt auch eine Schomaker vor, die immer wieder in die Verhandlung mit der eigenen Verantwortung geht – Festgehalten wird nur am Loslassen.
Die Nerven
Wie entscheidet man eigentlich, im Laufe einer Karriere ein Album mit dem eigenen Bandnamen zu betiteln? Und warum ist dieses fünfte (offizielle) Studioalbum von DIE NERVEN dann auch noch ihr erklärt schwarzes Album? Weil es wie ein Monolith dastehen wird, in der Tradition der schwarzen Alben von Metallica, Jay-Z und Prince? Das wird die Zeit zeigen. Titel und Farbe markieren jedoch ganz unmissverständlich: "DIE NERVEN" von DIE NERVEN ist für Kevin Kuhn (Schlagzeug), Julian Knoth (Bass und Gesang) und Max Rieger (Gitarre und Gesang), die 2010 mit einer Explosion in die Stuttgarter Noise-Szene sprengten und sich in den letzten zwölf Jahren zu einer der profiliertesten Rockbands des Landes entwickelt haben, ihr bisher wichtigstes Album.
Ein schwarzes Album also, selbstbetitelt. Kein Wolf ziert das Cover, nein: ein schwarzer Schäferhund vor schwarzem Grund. "DIE NERVEN" ist auch ein Stimmungsbild. Und in der konsequenten Wortschatzverkleinerung ihrer Texte, die vage genug bleiben, um in der chaotischen Komplexität der Gegenwart Impulse zu setzen, ist die Musik auch Sprachrohr für ein Unbehagen geworden, mit dem man sich in jedem ihrer Stücke identifizieren kann: Das Album "DIE NERVEN", das sind zehn in Form und Inhalt vollendete Gegenwartsbetrachtungen mit Schaum vor dem Mund, die schließlich als vereinfachte Erzählungen mit Edding auf ein weißes T-Shirt geschrieben werden, so dass die Farbe durchdrückt und sich auf der zwischen Wut und Angst aufgebracht pumpenden Brust verewigt: "EUROPA" – wie alle Texte 2018/19 entstanden und somit irritierend visionär – offenbart DIE NERVEN als Teil einer behüteten Generation, die zu ahnen beginnt, dass ihr noch ganz andere Zeiten bevorstehen, und dass das erlebte Leid der Anderen untrennbar mit den eigenen Privilegien zusammenhängt.
Der lang erspielte Kontrastreichtum der Band hat auf "DIE NERVEN" zu einer Form gefunden, die sich nicht mehr länger aus einem Spannungsverhältnis nährt. Hier manifestiert sich vielmehr das Resultat einer der fruchtbarsten Symbiosen der jüngeren Rockgeschichte. "DIE NERVEN" ist eine zehn Songs dauernde, schweißtreibende Feier der kreativen Kraft von Rieger, Knoth und Kuhn. Sie haben zu einem neuen Dialog gefunden. Wirkten im bisherigen Songwriting äußerst ausgeprägte Egos manchmal auch gegeneinander, forderten Rieger, Knoth und Kuhn nun geradezu vom jeweils anderen ein, sich in seiner extremen Eigenart einzubringen. Es herrscht keine Konkurrenz mehr. Aus drei Egos ist ein gemeinsames Ego geworden. Es heißt: "DIE NERVEN". So steht das Ungeschliffene, das in seiner gewaltigen Brachialität noch immer von Punk getrieben wird, dem Pop nicht entgegen, sondern verbindet sich mit ihm: Die gegensätzlichen Pole bei DIE NERVEN haben zu einer eigenen Form der Verschmelzung gefunden. Sie spielen auf einem neuen Niveau zusammen, dienen nur noch dem Song. Bisweilen muss man sogar genau hinhören, wer da nun gerade singt.
"DIE NERVEN" von DIE NERVEN sind zehn Stücke, in den Berliner Candy Bomber-Studios irgendwo zwischen den zwinkernden Referenzpunkten Rammstein, Godspeed You! Black Emperor und, ja: (Max Rieger:) “Wagner!“ live eingespielt. Ohne Klick, gemeinsam, gleichzeitig: DIE NERVEN, Gefühl und Organismus. Die Gesangsaufnahmen besorgte Moses Schneider, und Max Rieger, mittlerweile einer der gefragtesten Produzenten des Landes, mischte sich vier Monate die Finger wund, weil er meanwhile einen Anspruch an dieses Monster entwickelt hatte, den er niemand anders mehr zumuten konnte.
Es ist Pöbel MC, Deutschraps amtierender Schachboxchampion, der nichtmal Boxen bräuchte, um den Laden auf links zu ziehen. Was in den feuchten Kellergemäuern autonomer Jugendzentren begann, hat nicht ohne Grund seinen Weg in ausverkaufte Konzertsäle von stattlicher Größe gefunden: wo der Pöbelmane sein Schellenesperanto zum Besten gibt und haltungsstabile Rhetorik mit athletischer Bühnenperformance fusioniert, ist »Pöbel Sports« mehr als eine vage Floskel.
Vergiss das behäbigen Ambiente toxisch-verkiffter Hip-Hop-Jams, denn hier wird Hochleistungssport betrieben – auf, wie vor der Bühne. Zwischen Sprechgesang und wuchtigen Drum-Stafetten entwickelt beinahe jede Pöbel-Show früher oder später den solidarisch-dynamischen Vibe eines guten Punk-Konzerts – und niemand hat die Absicht, seine Stimmbänder zu schonen. Das Konzert-gewordene Hybrid aus Punchline-Gewitter, gesellschaftskritischer Lehrstunde und Bierdusche ist ein Place To Be. Für alle, die auf Style und Geschlechter scheißen und sich trotzdem in Schale schmeißen und für alle anderen auch.
Isocult
„Xs / As“ dient nicht als Wegweiser in die dunkle Nacht, sondern als flehender Aufruf inmitten einer Betäubung. „Take me to the far side / Take me to indifference“, wird mit hallender Stimme in das Lied hineingerufen, darüber die Synthesizer und Gitarren. Ja, die Welt von Isocult aus Dortmund ist eine trostlose, das mag man als Liebhaber von New Wace und Post-Punk schliesslich. Die Ruinen werden als Schauplatz genutzt, die Depressionsschübe als Zeitmesser. Mit der EP „Soma“ stürzt aber nicht alles in den Abgrund, einzelne Lichter leuchten am Ende noch.
So finden die Einzelteile und Scherben bei „Porzellan“ einen nahtlosen Übergang zu den flirrenden Gitarrenakkorden von „Plastik“, der deutsche Gesang hat die englische Unheilverkündung abgelöst. Die träumerischen Takte beim instrumentalen „Gezeit“ laden sogar zu einer Seelenwanderung auf dem zugefrorenen See ein. Zu zweit arbeiten Isocult und zeigen mit ihrer Debüt-EP viel Willen und noch mehr Stilsicherheit.
„Soma“ ist als durchgängiges Hörerlebnis gestaltet, mit Stimmungswechsel und fliessenden Veränderungen zwischen einzelnen Songs. Elektronisch ergänzt, bieten die analogen Instrumente den Boden, auf welchem sich die Kälte immer weiter ausbreitet. Um nicht festzufrieren, bieten Isocult tanzbare Rhythmen in diesem Gebiet des Cold Waves und ein treibendes Electrodrum, inmitten von Nebelschwaden und kristallinen Formen. Und wenn man sich dann doch im unendlichen Tief verliert, so begleiten einem immerhin diese acht Songs in die Ewigkeit.
Schrottgrenze
Fünfzehn Jahre sind immerhin nichtmal ein Sechsteljahrhundert. Dennoch ist es nicht wirklich einfach, sich gewisser Sentimentalitäten zu erwehren, wenn zu diesem Jubiläum das für die Entwicklungsgeschichte dieser Band zweifelsohne wichtigste Album zur Wiederveröffentlichung auf ansehnlicher Picture-Disc schreitet.
„Château Schrottgrenze“ erschien demnach im Jahre 2006 und stellte für die Band den endgültigen Kipp-Punkt aus der Adoleszenz heraus dar. Gegründet als Punkband, vollzogen Schrottgrenze über die Jahre den Aus- und Aufstieg zur Gitarrenpopgruppe mit international anerkannten Anhaltspunkten.
Wesentlich näher an REM, The Clean als an Terrorgruppe oder gar den Foo Fighters, vermitteln die zur Sparsamkeit angehalten Arrangements und eine derart punktgenau und akzentuiert vorgehende Rhythmusgruppe eine Aufgeräumtheit und Klarheit, die damals ihresgleichen gesucht haben und die fünfzehn Jahre später die vom damaligen Infozettelschreiber vorausgesehene hohe Halbwertszeit unter Beweis stellen.
Dank eines klug bestückten Referenzsetzkastens (durch Zitate und Coverversion offensichtlich in der Manege: The Cure, Guided By Voices und die Berliner Halsstarrigkeit Mutter) und der präzisen Produktion von Tobias Levin vermag „Château Schrottgrenze“ auch in diesem furchtbar beschissen begonnen habenden Jahrzehnt eine Sonderstellung zu behaupten.
Die von einer gewissen Uneindeutigkeit und sanften Melancholie geprägten Texte haben die Zeit ebenso gut überdauert - und dass mit „Zu Staub“ ein auf der ursprünglichen LP vom damaligen Label aus gelinde gesagt erratischen Gründen eliminiertes Stück nun enthalten und sicherlich eines der wichtigsten Lieder des Albums geworden ist: das macht diese Auflage erfreulich, begrüßenswert und unumgänglich.
Shybits
Shybits: ein kleines Stück, Teil, oder Menge von etwas, nervös oder ängstlich im Umgang mit anderen.
Das Trio macht ein Mischmasch aus Post Punk, Psych, Grunge, Surf, Garage, Harmonien und Schreien – Shybits entführen uns in einen neuen Sound aus Berlin, mit der Süd-Afrikanerin Meghan am Schlagzeug, dem Italiener Piero am Bass und dem britischen Frontmann Liam an Gitarre und Mikro.
Mia Morgan
Es ist noch gar nicht so lange her, dass “Waveboy” von Mia Morgan der überraschende Indie- Hit eines letzten normalen Sommers war. Nun veröffentlicht die Künstlerin aus Kassel mit “Fleisch” ihr Debütalbum voll düsterem Pop und abgründigen Texten.
ok.danke.tschüss zeigen mit einem freundlichen Lächeln und erhobenem Mittelfinger auf alles, was in der Welt schief läuft. Die deutschen Texte sind mit einer gewaltigen Portion Wortwitz gepfeffert und behandeln in der Tiefe ernste Themen. In Kombination mit den eingängigen Synthesizer- und Basslines schließen sie die Lücke, die WIR SIND HELDEN einst hinterließen und reihen sich mit einer weiblichen Stimme neben BILDERBUCH und VON WEGEN LISBETH in die deutschsprachige Musiklandschaft ein.
„Ich will doch nur das, wonach meine Nachbarin immer schreit. Nimm mich, Ernst!“
ok.danke.tschüss haben keine Angst vor Klamauk. Dem Genre von ok.danke.tschüss hat man schon viele Namen gegeben „Einhorn-Rock“, „Synthie-Pop“ und „was-zur-hölle-soll-das-dennsein?“ Nichts hat sie geschockt. Mit abgefahrenen Synthie-Sounds, schrillen Outfits und schrägen Dancemoves leiten sie die „Neue neue neue neue deutsche Welle“ ein. Vielleicht sind sie die höflichste Rebellion der Welt.
„I DON’T MOVE LIKE JAGGER. ICH BEWEG MICH WIE GOLLUM AUF ECSTASY.“ Auf einem Konzert von ok.danke.tschüss darf scheiße getanzt werden. Headbanging, Pogen, Walzer, Discofox, die tote Robbe, Planking, … alle Tanzarten sind erlaubt!
Bei allem Spaß, der von ok.danke.tschüss auf einem Konzert verbreitet wird, kann ein nachdenklicher Zuhörer in jedem der Lieder eine dunkle und melancholische Seite entdecken. Wo manches durch Ironie und Wortwitz an der Oberfläche lustig wirkt, werden auf den zweiten oder elften Blick ernste Themen angesprochen. Wie in „Böses Mädchen“ die Klimadebatte, in „Verrückt“ die Wirkung des Kapitalismus auf die menschliche Psyche und in „Liebe?“ die heuchlerische Eifersucht.
Wer ein Konzert von ok.danke.tschüss besucht muss und darf mit allem rechnen. Man kann am Rand stehen und den gewitzten und tiefgreifenden Texten lauschen, man kann vor der Bühne tanzen wie blöd, man kann mit offenem Mund da stehen und sich fragen was hier denn gerade abgeht.

TBA
Schon bald findet ihr hier das Line Up für den 26./26.08.2022 - seid gespannt!
NEWS, NEWS, NEWS!
Der Inhalt ist derzeit nicht verfügbar
Dies passiert, wenn der Eigentümer den Beitrag nur mit einer kleinen Personengruppe teilt oder er geändert hat, wer ihn sehen kann. Es kann auch sein, dass der Content inzwischen gelöscht wurde.